Kaiseraugst

Kaiseraugst IO, K 292 Gestaltung Landstrasse

Nachdem mein berühmter Bruder Robin H. Hood («H.» steht für «Henz») gemeinsam mit Little John im Sherwood Forest mit Pfeil und Bogen erfolgreich die reichen weltlichen und geistlichen Herren ausraubte, um ihre übermässigen Güter an die Armen zu verteilten, dachte ich mir, ich werde es den beiden «Brexitlern» auf meine Weise gleichtun.

Zusammen mit Little Josic und Bruder Metzger hauste ich im Gstaldenforest in einer kleinen gemütlichen, grünen Baracke. So wenig wie wir unseren Anführer sahen, war er vermutlich mit König Richard auf Kreuzzug. Ab und zu tauchte er mit seinem schwarzen Vollblutpferd «Black Mustang Wonder» auf und quetschte uns über das aktuelle Geschehen aus, verlangte Sicherheitsauditzettel zum Thema Waldarbeit und verschwand dann schnurstracks wieder. Doch wir alle waren glücklich und ernsthaft Frey.

Eines Tages hörten wir, wie der Sheriff vom Buchenhof zu einem öffentlichen Verfahren einlud, damit ein jeder sein Angebot für die Sanierung der maroden Landstrasse in Kaiseraugst einreichen konnte. Dies war unsere Chance, und so schlichen wir uns unbemerkt in die grosse Stadt. Der Sheriff Joss sass hoch zu Ross, und neben ihm stand sein adliger Freund Prinz Roberto S. Dieser verkündete mit dröhnender Stimme: «Das Wettspiel ist eröffnet, die Eingaben mögen beginnen!» «Wir, die blauen Gefährten aus dem Dorf der Buben, offerieren: 5 Taler und 96 Kreuzer», ertönte es lautstark aus der vordersten Reihe. «Haha! Und wir, die gelben Kameraden aus dem Lies-Tal, verlangen nur: 5 Taler und 94 Kreuzer», hallte es aus der anderen Ecke. Dieses Angebot war zielgenau, und nur ein ganz spezieller Schuss konnte die Gelben von der Auftragszusage abhalten. Lautlos zog ich mein Kalkulationsbuch aus dem Köcher, zielte kurz und schoss es dem Prinzen Roberto S. entgegen: «4 Taler und 86 Kreuzer!!» Ein Raunen ging durch die Bietermenge, denn mein Schuss war so zielgenau, dass er das gelbe Angebot zerfetzte und wir zuvorderst im Ranking waren. Little Josic lachte laut heraus und wollte sogleich mit den Arbeiten loslegen, ohne sich Gedanken über seine bereits geplante Weiterbildung bzw. seinen zukünftigen Sold zu machen. Nun, so war er eben: jung, wild und ehrgeizig, aber manchmal etwas übereifrig. Dies bekam er auch des Öfteren lautstark von Lady Zimmermann zu hören, die für die hochadlig Reichen (HR) zu Kaiseraugst die Schatzkammer verwaltete.

Der Bauperimeter des Projektes «Kaiseraugst K 292 IO, Gestaltung Landstrasse» umfasst den Ausbau der Hauptstrasse auf einer Länge von 730 Metern sowie die Verbreiterung der beiden Einmündungen «Mühlegasse» und «Gstaldenrain». Der Knoten «Mühlegasse» wird aufgrund des regen Rossfuhrbetriebs zusätzlich mit einer Lichtsignalanlage ausgerüstet und der Knoten «Gstaldenrain» verbreitert, um die Kreuzung zweier Pferdekutschen im Knotenbereich zu ermöglichen. Der Querschnitt der Wasserleitung wird so weit erhöht, dass sich die Mühlenr.der künftig schneller drehen, und um das tägliche Gekreische der Marktfrauen einzudämmen wird ein zusätzliches Medienrohr im Erdreich verlegt. Die Marktbeleuchtung wird auf den neusten Stand gebracht und die Abwasserleitung auch gleich erneuert. Die industriellen Werkstätten aus Basel versorgten in diesem Zusammenhang das Tal mit neuen Gasleitungen, dies, um die Kirche St. Gallus und Othmar in Kaiseraugst schön warm aufheizen zu können. Die heiligen drei Geistlichen Jung, Rossi und Toni überwachen den Baubetrieb, und auch der adlige Stadthalter Brühweiler wird seine geplanten Bauteile eigenständig überwachen. Zu guter Letzt sei da noch der Benediktinermönch Bruder Friar Jegge erwähnt, der für die göttliche Strassenordnung einsteht und tagtäglich den wichtigen Pferde-Fuhrbetrieb aufrechterhält … Immer wieder versuchten Little Josic und ich uns mit zusätzlichen Arbeiten zu bereichern, um so an die vielen Goldstücke der Blaublütigen zu gelangen und diese Kreuzer anschliessend unter der Baumannschaft zu verteilen. Einige erste Versuche, mit «Arbeiten nach Aufwand» an den Mammon zu kommen, scheiterten kläglich, und so liessen wir diese Strategie schnell wieder fallen. Sheriff Joss, Prinz Roberto S. und Stadthalter Brühweiler verteilten mir und meinen Weggefährten unzählige Aufträge, und so kam es, wie es kommen musste: Die drei Adligen wollten keine gewöhnlichen Randabschlüsse für die Strasse, sie verlangten Spezialsteine aus Granit, die auf die Strasse aufgeklebt werden mussten. «Nehmt dies!», schrie ich laut aus der Baracke und warf den dreien eine Schriftrolle mit der Aufschrift «Nachtragsofferte» zu. «Wir, die Geächteten, nehmen euch nun einen Teil von eurer Habe weg und verteilen es den armen Baumenschen zurück!» Zwar versuchten die Hochwohlgeborenen den Kopf noch aus der Schlinge zu ziehen, doch sämtliches Normenwerk und alle anderen Regelwerke standen auf unserer Seite, sodass der Schatzmeister an der Entfelderstrasse schliesslich den Zaster rausrücken musste. Mit grosser Freude verteilte ich den Geldsegen an meine Weggefährten, und als ich Little Josic zum Vorarbeiter beförderte und ihm mehr Sold überreichte, war er zufrieden und glücklich wie nie zuvor. Meinen Teil des Tafelsilbers tauschte ich gegen ein neues Hüftgelenk ein, da meines mir nach dem harten und wilden Leben in den Tiefen des Gstaldenforests so grosse Schmerzen bereitete, dass es ausgewechselt werden musste. In einigen wenigen Wochen wird mein erster Lebensabschnitt als Wegelagerer auf den verschiedensten Baustellen zu Ende sein, und ich werde in den wohlverdienten FAR (Ferien, Ausschlafen, Reisen) gehen und den Kampf um die Knete dem jungen Little Josic und seiner Mannschaft überlassen.

Im Auftrag der Baugefährten
Martin Züger

PS Wie immer: Alle in diesem Buch geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären zufällig und sind nicht beabsichtigt.

Ernst Frey, Strassen- und Tiefbau, 2016, 2017, 2018, Aargau, Kaiseraugst
Bauzeit:

2016 – 2018

Bauführer:

Martin Züger